Ein Interview mit der Ersten Solistin Carolina Agüero
Unser letztes Wochenende in Baden-Baden naht. Die Proben für die kommenden drei »Nijinsky«-Vorstellungen laufen dabei auf Hochtouren. Am 13. und 15. Oktober tanzt die argentinische Erste Solistin Carolina Agüero die Rolle der Romola Nijinsky im Festspielhaus Baden-Baden. Im Interview spricht sie über das aktuelle Gastspiel, ihren beruflichen Werdegang und über das Leben als Mutter und Tänzerin.
Ein Interview von Nathalia Schmidt
Carolina, wie und wann kamst du zum Tanz?
Mit drei Jahren habe ich mit dem Tanzen angefangen. Ich war ein solches Energiebündel, dass meine Mutter beschloss, mich zum argentinischen Folkloretanz zu schicken. Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich sehr koordiniert war und mir mühelos die Choreografien merken konnte. Schon bald stand ich bei Auftritten in der ersten Reihe. Mit 6 Jahren lernte ich neben Folklore auch Ballett, Jazz, und Steptanz. Mit 13 Jahren entschied ich mit dem klassischen Ballett weiterzumachen, ich wollte mich voll und ganz darauf konzentrieren. Ich ging in die Staatliche Ballettschule in Córdoba, im Theater Rivera Indarte, am Abend tanzte ich weiter in der privaten Ballettschule des russischen Lehrers Jorge Tomín und seiner Frau Irupe Pereira. Ich habe viel von Ihnen gelernt! Eine für mich wichtige Lehrerin, Teresa del Cerro, überzeugte mich davon, dass es gut sei weitere Erfahrungen im Ausland zu sammeln. Und das tat ich: Ich tanzte zunächst in der Julio Bocca Company, ging dann für ein Jahr nach Chile. Bald darauf ging ich ans Stuttgarter Ballett, dann nach Dresden, und dann wurde ich ans Finnish National Ballet verpflichtet. Dort tanzte ich sechs Jahre lang. Im letzten Jahr studierte John Neumeier in Helsinki sein Ballett »Die Möwe« ein. Ich mochte seine Arbeit sehr und kurz darauf wechselte ich ans Hamburg Ballett. Ob das Hamburg Ballett meine Traumcompagnie ist? Ja, das kann man so sagen. Ich werde hier immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert, er versucht, alles aus seinen Tänzern herauszubekommen, das gefällt mir. Ich bin hier glücklich!
Was waren deine persönlichen Höhepunkte in deiner professionellen Karriere?
Noch in Finnland tanzte ich die Julia in John Crankos Choreografie »Romeo und Julia«. Diese Rolle hat meine Sicht auf das klassische Ballett verändert: Ich durfte hier auf eine ganz natürliche Weise meine Gefühle zeigen und sie auf der Bühne rüberbringen. Die Julia war schon immer eine meiner Traumrollen. Als ich 7 oder 8 Jahre alt war, sah ich zuhause die ersten Videos großer Ballette, zum Beispiel von der noch sehr jungen Alessandra Ferri in der Rolle der Julia. Sie wirkte auf der Bühne so natürlich und so ehrlich! Meine Mutter sagte damals: Ferris Füße seien so geschmeidig wie Handschuhe. Ich wollte so sein wie sie, daran wollte ich arbeiten! In Helsinki habe ich viel rein klassisches Ballett getanzt, als John Neumeier hier seine »Möwe« einstudierte, wusste ich sofort, dass sein einzigartiger Stil gut zu mir passte. Ich hatte bei ihm das Gefühl, das Tanzen neu zu lernen: John Neumeier hat seine ganz eigene Bewegungssprache, ich musste daran arbeiten, meinen Tanzpartnern mehr zu vertrauen und mich trauen, meinen Körper loszulassen und auch mal ›off-balance‹ zu gehen. In der letzten Saison tanzte ich die Rolle der Romola in seinem Ballett »Nijinsky«, das war für mich eine einmalige Erfahrung!
Vorstellungsfoto aus Hamburg: Carolina Agüero, mit Marcelino Libao, in »Nijinsky« © Kiran West
Du tanzt die Romola Nijinsky auch morgen und Sonntagabend im Festspielhaus Baden-Baden. Wer ist Romola?
Ich habe im Vorfeld ihre Biografie über Vaslaw Nijinsky gelesen. Sie schreibt über Leben, Werk und Wahnsinn ihres Mannes, über ihre Verlobung und Heirat. Mich hat interessiert, wie sie persönlich über sein Leben gedacht hat und wie sie mit ihm umgegangen ist. Sie war meiner Meinung nach keine sehr talentierte Tänzerin, als Tochter eines österreichisch-ungarischen Hochadels hatte sie jedoch die ökonomischen Möglichkeiten eine gute Tanzausbildung zu bekommen. Sie wollte immer in der Nähe des Tänzers Vaslaw Nijinsky sein. Über Beziehungen gelang es ihr, in Serge Diaghilews Ballets Russes aufgenommen zu werden. Sie suchte immer wieder nach Gelegenheiten, dem Star des Ensembles, Vaslaw Nijinsky, zu begegnen. Es gibt viele kritische Stimmen, die sagen, dass Romola nur mit ihm zusammen war, weil er so berühmt und talentiert war. Ich glaube jedoch, dass sie ihn sehr geliebt hat. Trotz seiner Geisteskrankheit blieb sie immer bei ihm und pflegte ihn bis zu seinem Tod.
Bis zu einem gewissen Punkt kann ich mich mit Romola identifizieren. Auch ich habe immer versucht, das Beste aus mir herauszuholen, im Privatleben und im Beruf. Meiner Tochter sage ich immer: »Sag niemals nie!«. Ich gebe nicht auf; wenn ich etwas nicht kann, dann probiere ich das immer wieder, bis es gelingt. In erster Linie tue ich es für mich selbst, nicht für andere. Dies gilt auch im Tanz: Natürlich herrscht hier ein großer Konkurrenzkampf, aber ich tanze nicht, um besser als andere zu sein, ich tanze nur für mich selbst. Wie Mikhail Baryshnikov einmal sagte: »I do not try to dance better than anyone else. I only try to dance better than myself« – das ist mein persönliches Lebensmotto.
Wie oft hast du schon in Baden-Baden getanzt?
Ich bin 2006 in die Compagnie gekommen, seitdem bin ich jedes Jahr hier in Baden-Baden. Die Stadt gefällt mir sehr gut, sie ist sehr grün und bietet viele tolle Ausflugsmöglichkeiten. Ich selbst genieße es in meiner freien Zeit in die Therme oder in die Saune zu gehen – diese Leidenschaft stammt sicherlich aus meiner Zeit aus Finnland! Ich genieße es jedes Mal hier zu sein und zu tanzen.
Vorstellungsfoto aus Hamburg: Carolina Agüero und Alexandr Trusch in »Nijinsky« © Kiran West
Carolina, du hast eine Tochter, Natalia. Was machst du mit ihr, wenn das Hamburg Ballett auf Tournee ist?
Wenn es geht, nehme ich sie mit, wie jetzt in Baden-Baden. Noch geht sie zur Vorschule, sodass dies auch möglich ist. Meist frage ich einen guten Freund oder jemanden aus der Familie, ob er oder sie mitkommen möchte und während der Probenzeit auf sie aufpassen kann. Natalia ist sehr glücklich hier in Baden-Baden, sie spielt, geht schwimmen, malt oder lernt für die Schule. Natürlich kommt sie auch mal zu den Vorstellungen. Meine Leidenschaft für das Tanzen hat sich auch auf sie übertragen. Sie tanzt, wo und wann immer sie kann! Das ist auch der Grund, warum ich sie hier nicht zu den Proben mitnehme - sobald die Musik angeht, würde sie sofort auf die Bühne laufen und mittanzen! Das erste Ballett, das sie gesehen hat, war John Neumeiers »Der Nussknacker« und sie blieb die gesamten zwei Akte ruhig auf ihrem Platz – und das gerade mal mit drei Jahren! Wenn ich manchmal alleine im Ballettstudio trainiere, und sie bei mir ist, dann fragt sie nach der Nussknacker-Musik und will tanzen. Dabei versucht sie meine Bewegungen zu imitieren, dreht Pirouetten oder springt. Sie steckt voller Energie – so war ich als Kind auch!
Professionelle Tänzerin und zugleich Mutter zu sein, ist ein 24 Stunden Job. Woher nimmst du die Energie?
Als Mutter hatte ich mit Natalia sehr viel Glück: Sie war als Baby so unkompliziert, mit drei Monaten hat sie bereits die ganze Nacht durchgeschlafen. Und so konnte auch ich gut ruhen. Als Ballerina solltest du immer ausgeruht sein, wenn dein Körper müde ist, kann man nicht gut trainieren. Ich glaube auch, dass dann das Verletzungsrisiko steigt. Weil es mit Natalia so gut lief, habe ich beschlossen schon relativ früh in meinen Beruf zurückzukehren. Mein erster Auftritt nach der Geburt meiner Tochter war in »Ein Sommernachtstraum«, ich tanzte die Rolle der Helena. Das war hart! Ich musste sehr viel springen… Bevor ich schwanger wurde, hatte ich mit einer großen Verletzung zu kämpfen, ich musste lange pausieren. Während dieser Zeit habe ich viel Physio gemacht, um meinen Körper fit zu halten. Dann wurde ich schwanger, in den ersten Monaten habe ich ganz normal weiter trainiert. Als der Bauch dann immer größer wurde und der Körper sich aufgrund der Schwangerschaft verändert hat, habe ich nicht mehr auf Spitze getanzt und keine Sprünge mehr gemacht. Natürlich ist es nicht leicht nach einer Geburt und nach einer Verletzungspause zurückzukommen. Aber: Von der Arbeit nach Hause zu kommen und ein so süßes, kleines Baby zu sehen, das dich anlächelt – das ist Entschädigung genug!
Eine letzte Frage: Welchen Ratschlag würdest du jungen Tänzern geben, die deiner Profession nachgehen wollen?
Professionelle Tänzerin zu sein, ist ein harter Beruf. Was das Publikum oft nicht weiß: Dahinter steckt viel Arbeit. Balletttänzer müssen ihr Leben früh auf den Beruf ausrichten. Nur wer als Kind mit dem täglichen Training beginnt, der schafft es, körperlich und mental. Dazu gehört auch, dass du auf einige Dinge verzichten musst. Du musst immer sehr fokussiert und konzentriert sein. Es gibt junge Tänzer, die damit nicht gut umgehen können, für die es sehr hart ist. Mein Rat wäre: »Wenn du gerne tanzt, dann solltest du nie denken, dass dies ein Opfer ist – es ist eine Freude«. Auch ich habe viel für meinen Traum aufgegeben, aber niemand konnte mir dieses einzigartige und wunderbare Gefühl nehmen, dass ich auf der Bühne habe: Ich genieße es und bin ganz ich selbst.
Mein Lehrer Jorge Tomín sagte einmal: «Wenn du einmal den Unterricht verpasst, dann wirst du es spüren, wenn du zweimal den Unterricht verpasst, wird der Lehrer es merken und wenn du dreimal den Unterricht verpasst, wird es das Publikum sehen«. Ich habe immer auf die Ratschläge meiner Lehrer gehört, das hat mich sehr viel weitergebracht.
Danke, liebe Carolina, für das Interview!
Gastspiel des Hamburg Ballett in Baden-Baden
Festspielhaus
»Nijinsky«
13. Oktober, 19.00 Uhr, 14. Oktober, 18.00 Uhr, 15. Oktober, 17.00 Uhr
Carolina Agüero tanzt die Rolle der Romola Nijinsky am 13. und 15. Oktober, an der Seite von Alexandre Riabko als Vaslaw Nijinsky.
Am 14. Oktober verkörpert Silvia Azzoni Romola Nijinsky, Alexandr Trusch ist Vaslaw Nijinsky.