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Channel: HAMBURG BALLETT – JOHN NEUMEIER
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Ballettkiste, öffne dich! – VI

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Seit 1996 ist Sonja Tinnes als Choreologin des Hamburg Ballett für die Notation der Choreografien von John Neumeier zuständig. Sie ist das Gedächtnis, ihre Aufzeichnungen  sind das Nachschlagewerk der Compagnie. Denn jeder Schritt, jede Bewegung eines Stücks wird von ihr in der sogenannten Benesh Notation festgehalten. Von Beginn an begleitet Sonja Tinnes das Hamburg Ballett auf die zahlreichen Gastspielreisen – auch bei der aktuellen Residenz in Baden-Baden ist sie mit dabei. Für uns hat sie vor der Abreise ihre Ballettkiste geöffnet und uns gezeigt, welche Arbeitsinstrumente vor Ort nicht fehlen dürfen.

Von Frieda Fielers

Sonja TinnesSonja Tinnes in den Proben © Kiran West

Bevor es auf die Reise geht, packen alle Mitarbeiter ihre großen roten Ballettkisten, die nach Baden-Baden transportiert werden. Was nimmst du mit ins Festspielhaus?

Sonja Tinnes: Ich habe immer meine Bücher mit den Notationen der Stücke dabei, die wir auf Gastspiel zeigen. Dieses Mal also die Aufzeichnungen zu »Das Lied von der Erde« und »Nijinsky«. Ich nehme aber nicht die Originalaufzeichnungen mit, sondern fertige Kopien an – das Risiko, dass unterwegs etwas verloren geht, wäre zu groß. Für die Tourneebücher mache ich die Kopien auf leichterem Papier in einem kleineren Format, um das Gewicht zu reduzieren und die Bücher handlicher zu machen, da ich sie für die Proben immer mit mir herum trage. Die Aufzeichnungen zu »Nijinsky« stecken nun in drei kleinen Mappen; ursprünglich sind es vier große. Je länger die Stücke sind, desto mehr Gewicht kommt da zusammen - meine Aufzeichnungen zu »Anna Karenina« wiegen zum Beispiel insgesamt 12 Kilo! Für meine Bücher mit den Notationen habe ich noch eine eigene Kiste in der Ballettkiste, die passgenau für die Größe der Mappen angefertigt wurde. Zum Schutz der Mappen und weil ich mir die große Ballettkiste mit den Ballettmeistern teile. Neben meinen Notationen packe ich noch Trainingskleidung und meinen Teekocher immer mit in die Kiste.

BallettkisteVor der Abfahrt werden im Ballettzentrum die Kisten gepackt © Pressestelle

Was sind deine wichtigsten Arbeitswerkzeuge neben den Notationen?

Sonja Tinnes: Nicht in der Ballettkiste, sondern im Handgepäck transportiere ich noch die Originalmusikpartituren der unterschiedlichen Stücke. Die benutze ich zusammen mit meinen Notationen bei den Proben, um Einsätze zu geben und sie genau auf die Musik abzustimmen. Immer mit dabei ist außerdem meine Sammlung an Büromaterial: Papier, Stifte, Radiergummis – denn auch auf Gastspiel nimmt John Neumeier Änderungen an den Stücken vor, die ich dann notiere und den Aufzeichnungen hinzufüge. 

Was für Änderungen werden auf Gastspiel an den Stücken vorgenommen?

Sonja Tinnes: Manchmal sind Anpassungen der Choreografie notwendig, weil sich die Bühnensituation ändert – in Baden-Baden ist das Portal der Bühne beispielsweise breiter als in Hamburg, dadurch wirkt die Bühne größer. Daher werden oft Formationen verändert, um das Stück diesen Umständen anzupassen. Außerdem ist im Festspielhaus in Baden-Baden auf der linken Bühnenseite nur eine ganz schmale Gasse vorhanden, was wiederum Einfluss auf den Ablauf eines Stücks haben kann. Denn von dieser Seite können keine großen Bauten oder Requisiten auf die Bühne geschoben werden. Als wir 2015 mit »Der Nussknacker« im Festspielhaus gastierten, wurde zum Beispiel die Treppe aus diesem Grund auf der anderen Bühnenseite platziert. Durch solche Anpassungen kann sich auch der weitere Ablauf des Stücks verändern – all diese Details halte ich dann in meinen Aufzeichnungen fest.

TourneebücherIn drei Tourneebüchern stecken die Aufzeichnungen zu »Nijinsky« © Pressestelle

Wie sieht dein Arbeitsalltag auf Gastspiel aus?

Vor den Proben blättere ich durch die Partituren, lese meine Aufzeichnungen und Notizen der Stücke. Bei den Werken, deren Kreation oder Wiederaufnahme ich betreut habe, weiß ich viele Dinge auch schon auswendig und muss gar nicht erst nachschauen. Ich verfolge die Proben dann mit meinen Büchern, helfe den Tänzern, korrigiere und kontrolliere ob alles mit meinen Notationen übereinstimmt. Auf Gastspiel in Baden-Baden halte ich außerdem oft die begleitenden öffentlichen Einführungen zu den Vorstellungen, gemeinsam mit Andreas Geier vom Festspielhaus. Dafür bereite ich mich extra vor, lese meine Notizen, die Programmhefte und mache mir Gedanken über interessante Anekdoten, die ich beisteuern kann. 

Sonja Tinnes mit TourneebücherBereit für Baden-Baden: Sonja Tinnes und die Tourneebücher © Pressestelle


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