Am 21. November lud das »Istituto Italiano di Cultura« zu einem besonderem Gesprächsabend ein: Lloyd Riggins und Laura Cazzaniga vom HAMBURG BALLETT berichteten im Gespräch mit Daniela Rothensee über die italienisch-dänisch-amerikanisch-deutsche Produktion von »Napoli«, die am 7. Dezember ihre Premiere feiert.
Laura Cazzaniga, Lloyd Riggins und Daniela Rothensee im Gespräch © Istituto Italiano di Cultura
Von Nathalia Schmidt
Freitagabend, 21. November. Der Bibliothekssaal des Italienischen Kulturinstituts im Hamburger Stadtteil Rotherbaum ist bis auf den letzten der knapp 70 Sitzplätze belegt. Im Untergeschoss sehen zusätzlich 30 Interessierte das Gespräch über eine Leinwand. Umgeben von Bücherregalen, die bis an die Decke reichen, höre ich ein buntes Durcheinander an italienischen und deutschen Stimmen. Die drei roten Sessel auf dem Podium sind noch frei, doch pünktlich um 19.00 Uhr öffnet sich eine Tür und die Gäste des HAMBURG BALLETT nehmen Platz. Nach einer Begrüßung durch Beatrice Virendi vom Italienischen Kulturinstitut und einer kurzen Einführung von Daniela Rothensee aus der Abteilung Presse und Kommunikation des HAMBURG BALLETT, beginnt die Gesprächsrunde.
Bevor Lloyd Riggins, der das romantische Ballett »Napoli« am 7.12. auf die Bühne der Hamburgischen Staatsoper bringt, über die neue Produktion und seine Arbeit spricht, gibt es viel über die Entstehung des Balletts und seine Geschichte zu berichten. Dabei landet man allerdings erstmal nicht in Italien, sondern in Dänemark: »Napoli«, in der Choreografie von August Bournonville, ist das dänische Nationalballett schlechthin. Seit seiner Premiere am 29. März 1942 in Kopenhagen steht es in einer fast ungebrochenen Aufführungstradition und ist noch heute im Repertoire des Königlich Dänischen Balletts. Aber weshalb finden wir uns heute Abend im Italienischen Kulturinstitut zusammen? Der Gesprächsabend gibt Auskunft: Ein Jahr vor der umjubelten Uraufführung seines Balletts, reiste der Tänzer und Choreograf August Bournonville nach Neapel. In seinen Tagebuchaufzeichnungen berichtet er:
»Diese Reise tat mir unglaublich gut. Ich konnte mich körperlich und seelisch erholen. Einige Male habe ich mit dem üblichen Erfolg im Teatro San Carlo und an der Scala getanzt. Der eigentliche Zweck meiner Reise war aber, mich umzuschauen – und das tat ich. Unentwegt sammelte ich Ideen. Eigentlich hegte ich keine Absicht, aus diesen gewonnenen Eindrücken Ballette zu kreieren«.
Und doch bringt Bournonville »Napoli« innerhalb nur eines Jahres auf die Bühne, »genauso wie ich es erlebt habe. Neapel und nichts anderes«, schreibt er. Seine Eindrücke und Erlebnisse – das fröhliche Markttreiben auf dem Fischmarkt von Santa Lucia etwa, die Händler mit ihren Makkaroni- und Zitronenständen oder die italienischen Volkstänze – verarbeitet er zu einer dreiaktigen Choreografie. Interessant ist, dass Bournonvilles Reise nach Neapel nicht geplant war, sondern sich aufgrund eines Zwischenfalls im Opernhaus in Kopenhagen ergeben hat, wie Lloyd Riggins berichtet. Als die dänische Primaballerina Lucile Grahn (im Jahre 1839) Dänemark verlässt, um in Paris zu tanzen, verzeihen ihre Fans in Kopenhagen Bournonville nicht, dass er sie hat gehen lassen. Mitten in einer Vorstellung von »Der Toreador« buhen sie Bournonville, der als Tänzer gerade auf der Bühne steht, aus. Bournonville selbst wendet sich an den im Publikum anwesenden König und fragt, ob er weitermachen soll. Doch einen König öffentlich anzusprechen war ein unverzeihlicher Bruch der Etikette! Dem Ballettmeister, den man allerdings nicht kündigen will, bittet man für sechs Monate Dänemark zu verlassen, bis ein wenig Gras über diesen Vorfall gewachsen sei. Und so kam Bournonville ins sonnige und warme Neapel.
Bournonvilles Choreografie wird seit ihrer Uraufführung von einem »ballettmester« zum nächsten weitergegeben, dadurch weiß man bis heute noch viel von der ursprünglichen Choreografie. Für Lloyd Riggins ist die Inszenierung dieses Balletts eine Herzensangelegenheit. Als er als junger Tänzer nach Kopenhagen kam und schon bald sein erstes Solo in einer Bournonville-Produktion tanzen durfte, fand er sofort Gefallen an Bournonville und seinen Balletten, wie er erzählt. Seine Jahre beim Dänischen Nationalballett, in denen er zum Ersten Solisten aufgestiegen ist, haben ihn als Tänzer stark beeinflusst. Während das Publikum in Dänemark bereits eine Vielzahl an unterschiedlichen Interpretationen des Balletts kennt, ist »Napoli« dem Hamburger Publikum nahezu unbekannt. Umso wichtiger erscheint es Lloyd Riggins eine Inszenierung zu schaffen, durch die die Charaktere des Balletts und seine Geschichte genau erklärt werden.
Gennaro, ein junger Fischer, ist verliebt in Teresina, die ihn ebenfalls liebt. Ihre Mutter Veronika ist zunächst gegen diese Verbindung und möchte ihre Tochter gerne mit einem reichen Händler verheiraten. Als das Paar in einem Fischerboot auf See in einen schweren Sturm gerät, wird Teresina über Bord gespült. Der Meeresdämon Golfo verwandelt sie in eine Najade und löscht ihre Erinnerungen. Doch Gennaro schafft es durch seinen Glauben und seiner Liebe zu Teresina, sie in ein menschliches Wesen zurückzuverwandeln. Das Paar kehrt nach Santa Lucia zurück und wird vermählt. »Eigentlich doch so wie immer«, scherzt Lloyd Riggins.
Der erste und der dritte Akt sind sehr gut überliefert. Historische Fotografien, aber auch ein Libretto geben Auskunft über Bournonvilles Inszenierung. Der zweite Akt dagegen ist heute so gut wie unbekannt. Zwar gibt das Libretto Auskunft über die Handlung, doch ist heute nicht mehr klar, wie es Bournonville ursprünglich einstudiert hat. »So wird jeder, der ›Napoli‹ inszenieren möchte, auch zum Choreografen«, sagt Lloyd. Der zweite Akt steht dabei ganz im Zeichen des romantischen Balletts, in dem immer eine übernatürliche Dimension hinzukommen muss. Lloyd Riggins erklärt uns, dass sich der zweite Akt auch durch seine Bewegungssprache unterscheidet. Während der erste und dritte Akt sehr erdig ist – die Tänzer, die echte Menschen verkörpern halten viel Kontakt mit dem Boden – zeichnet sich der zweite Akt durch seine fließenden Bewegungen aus.
Die Ballettmeisterin und ehemalige Erste Solistin Laura Cazzaniga, die in Lloyds Produktion die Rolle der Mutter übernehmen wird, gibt an diesem Abend einen spannenden Einblick in die Arbeit mit Lloyd Riggins. Auch als Italienerin ist es nicht unbedingt leicht, sich in das Milieu Napolis einzufinden, erzählt sie. Für alle Tänzerinnen und Tänzer der Compagnie sind die Bewegungen im typischen Bournonville-Stil neu. Auch die zahlreichen Pantomime-Szenen, die im ersten Akt dominieren (die »gute alte Schule«, wie Lloyd Riggins dazwischenruft) stellt sie vor Herausforderungen. Die Mutterrolle lebt durch die Mimik, »es ist ein Erzählen durch Gesten«, erklärt Laura. Um dieses glaubwürdig auf der Bühne rüberzubringen, muss viel geprobt werden. Gleichzeitig wechselt Laura immer wieder die Rollen: Als Tänzerin übt sie die Rolle der Mutter ein, als Ballettmeisterin steht sie Lloyd Riggins bei künstlerischen Fragen mit Rat und Tat zur Seite und betreut einzelne Proben. Laura erzählt all dies mit einer solchen Gelassenheit und Heiterkeit, dass ich mir sicher bin, dass sie diese Herausforderungen mit Bravour meistern wird!
Glückliche Gesichter nach einem tollen Abend im Italienischen Kulturinstitut © Pressestelle
Nach eineinhalb Stunden neigt sich ein sehr informativer und interessanter Abend gen Ende. Bei einem Weinempfang hatten die Gäste noch die Möglichkeit Lloyd Riggins, Laura Cazzaniga und Daniela Rothensee persönlich anzusprechen, bis sich die Türen des Italienischen Kulturinstituts schlossen. Eine letzte Sache möchte ich euch nicht vorenthalten: Im Juni 1843, also knapp ein Jahr nach der Uraufführung von »Napoli« in Kopenhagen, fand die erste und einzige Vorstellungsreihe dieses Balletts in Hamburg statt. Umso schöner, dass »Napoli« nach so vielen Jahren nun erneut in Hamburg zu sehen ist!