Interview mit dem Dirigenten des HAMBURG BALLETT Simon Hewett
von Jonas Zerweck
Wie wird man Ballettdirigent?
Ich sehe mich eigentlich eher als Theaterdirigent. Neben meiner Arbeit als erster Dirigent beim HAMBURG BALLETT bin ich auch erster Kapellmeister an der Oper Stuttgart. Von meinen 70 bis 80 Vorstellungen, die ich im Jahr dirigiere, sind ziemlich genau die Hälfte Ballettvorstellungen. Als ich an der Oper in Australien anfing, hatte ich gleich die Möglichkeit Ballettabende zu dirigieren und es hat mir Spaß gemacht. Die Musik, die man zu dirigieren bekommt, ist oft großartig. Dazu kommt, dass es mich immer interessiert hat, wie die Musik, die ich aus den Konzertsälen kannte, auf der Bühne funktioniert. Das wollte ich unbedingt ausprobieren.
Simon Hewett © Penny Bradfield
Wie waren deine Anfänge in Hamburg?
Als ich nach Hamburg kam, war ich hier erst an der Oper angestellt. Ich habe Opern dirigiert, assistiert und vorbereitet. Dann kam es dazu, dass Ulrike Schmidt vom HAMBURG BALLETT eine Vorstellung von mir gesehen und mich gefragt hat, ob ich mir zutrauen würde, auch Ballette zu dirigieren. Ich habe darauf hin die Premiere von John Neumeiers »Parzival – Episoden und Echo« 2006 in Baden-Baden dirigiert und seitdem viele Aufführungen begleitet. Die Zusammenarbeit mit John macht mir viel Spaß. Seine Auffassung ist, dass das, was der Dirigent im Graben macht, erst einmal das Publikum überzeugen muss. Er möchte, dass die Musik bewegt. Zwar hatte ich immer auch meine eigenen musikalischen Ansichten, aber ich war auch immer zum Dialog bereit. So tauschen wir uns auch darüber aus, ob das Tempo zu seiner Choreografie passt und wie seine Tänzer damit zurecht kommen.
Gibt es einen Unterschied zwischen dem Dirigieren von Oper und Ballett?
In Stuttgart mache ich nur Oper. Ich sehe die Spaltung zwischen den beiden Kunstgattungen nicht, auch wenn das viele Leute so betrachten. Vielleicht bin ich ein bisschen verwöhnt, weil die Verhältnisse hier schon besonders sind. Für mich ist das Dirigieren von Opern und Balletten eine Kunst der Begleitung, egal ob Tänzer oder Sänger. Ich wäre kein guter Operndirigent, wenn ich ohne auf die Sänger zu hören auf meine Tempi bestehen würde. Als Dirigent zu begleiten ist ein Führen, aber auch immer ein Folgen. Eine Balance dazwischen zu finden und gleichzeitig, die Sänger so zu fordern, dass am Ende ein gutes Ergebnis steht, ist mein Ziel. Dafür muss ich den Sängern zuhören, ihnen folgen, aber trotzdem einfordern und herausfordern, auch wenn es mal ungemütlich für sie wird. Das Gleiche gilt bei der Arbeit mit Tänzern. Manchmal fordert John, auch durch meine Anregung, Tempi ein, die für die Tänzer unangenehm sind, aber notwendig, weil sie die Choreografie und die Musik berührender machen.
Man findet viele Dirigenten, die nicht dazu bereit sind, zusammen mit einem Choreografen einen Dialog zu entwickeln, wo man wirklich zusammen eine gemeinsame Interpretation schafft. Hier mit John ist das etwas anderes und es macht mir Spaß.
Der Unterschied zwischen dem Dirigieren einer Oper und einem Ballett ist also genau…
…dass die Machtverhältnisse anders sind. In der Oper hat man mehr Durchsetzungskraft. Man kann sagen: Ich mach es so und so, egal was ihr denkt. Ich glaube allerdings, dass wenn man gute Beziehungen zu den Sängern hat, man diese Macht als Operndirigent nicht braucht. Beim Ballett aber wird man es immer gesagt bekommen, wenn die Tempi nicht angenehm für die Tänzer sind oder wenn der Choreograf der Meinung ist, dass etwas so nicht funktioniert. Es ist halt nur die Frage, wie man damit umgeht und ob man damit klar kommt. Sprich: bin ich bereit zusammenzuarbeiten?
Wenn du ein Ballett dirigierst, für wen gibst du die Einsätze?
Manchmal machen sich die Tänzer ein bisschen lustig, dass ich sie dirigieren würde, als ob sie Opernsänger wären. Aber das ist nicht der Fall. Es gibt bestimmte Einsätze wo gute Tänzer wissen, dass es viel einfacher für sie ist, wenn sie auf meine Einsätze achten. Die Tänzer, die sich nicht so gut mit Musik auskennen, verstehen manchmal nicht, dass ich dem Orchester immer einen Auftakt geben muss. Das heißt, wenn sie meinen, dass die Musik auf meine erste Bewegung hin losgeht, sind sie immer zu früh dran.
Meistens ist es aber so: sie tanzen, ich dirigiere und gucke hin. Bei Choreografien, die ich sehr gut kenne, kann ich in gewisser Hinsicht auch richtig begleiten. Das bedeutet, dass wenn ich sehe, dass die Tänzer etwas mehr Zeit brauchen, oder dass sie die Musik gern schneller hätten, ich darauf eingehe.
Wo ist deine größere Aufmerksamkeit während der Aufführung? Ist sie mehr bei dem Orchester oder bei den Tänzern?
So 75 bis 80 Prozent beim Orchester und dann habe ich etwas Aufmerksamkeit für die Bühne.
Wie erarbeitest du mit den Choreografen die Interpretation der Musik?
Das hängt ein bisschen damit zusammen, ob ich die Stücke schon einmal rein musikalisch einstudiert habe. Zum Beispiel habe ich mal das Ballett »La Fille mal gardée« dirigiert, in dem viel Musik von Donizetti benutzt wird. Ich kannte die ursprüngliche Musik von Donizetti vor der Einstudierung des Ballettes gut. Die Musik des Ballettes ist aber ein Arrangement von Jack Lanchbery, der Material aus verschiedenen Belcanto-Opern benutzt. Es war komisch diese Musik ganz anders zu dirigieren. Das Ballett hatte sich aber in dieser Form über die Zeit behauptet und deswegen konnte ich gegen einige musikalische Eigenheiten, wie zum Beispiel eine kleine Pause, die ich in der Oper von Donizetti nie gemacht hätte, wenig machen.
Mit John ist das anders. Wenn wir an einer Premiere arbeiten, nutzt er entweder eine Aufnahme, die ich selber vorgeschlagen habe und die meiner Interpretation entspricht, oder aber wir setzen uns mit einem Pianisten zusammen und besprechen, wie wir die einzelnen Passagen verstehen. Dabei gibt es dann im Kreationsprozess natürlich viele Dinge, die John dann doch anders macht. Aber insgesamt finden wir immer eine Lösung und wenn ich wirklich fest von etwas überzeugt bin und ihm Dinge vorschlage, dann ist er meist einverstanden.
Was ist deine Intention bei Crankos »Onegin«?
»Onegin« fängt ein bisschen spieloperhaft an. Die Musik ist sehr heiter und lustig, viel wird durch Mimik auf der Bühne ausgedrückt. Aber wenn es dann dramatisch wird, möchte ich, dass die Musik die Emotionen der Geschichte widerspiegelt. Das ist immer mein Ziel im Graben: dass man die Geschichte auf eine Art und Weise erzählt, dass die Emotionen klar dargestellt werden – ohne jedoch zu übertreiben. Man darf die Gefühle dem Publikum nicht derart übertrieben vorspielen, dass es keinen Platz für die eigenen Gefühle findet.
Bei »Tatjana« ist die Premiere am 29. Juni. Hast du schon Musik gehört, die ja ganz neu von Lera Auerbach komponiert wird?
Es existiert ein Klavierauszug und Lera hat mir schon größere Ausschnitte daraus vorgespielt. Sie ist momentan dabei, die Instrumentierung zu vollenden und ich warte voller Spannung und Neugier auf die Partitur.
Die Geschichte ist die von Puschkin. Hast du schon einen Ansatz, wie du mit der Musik umgehen wirst?
»Tatjana« wird für ein eher klassisches Orchester geschrieben, also nicht ganz klein und auch nicht riesig, so Beethoven-Größe. Ich denke, dass die Auerbach-Farben zu erkennen sein werden, also sehr lyrisch wie bei »Die kleine Meerjungfrau« - mit einer sehr dunklen, interessanten, harmonischen Entwicklung und dann dieser grellen, fast ironischen, musikalischen Farbe.