»Heut liegt was in der Luft, ein ganz besonderer Duft…«
(Bully Buhlan mit Mona Babtiste)
120 Schülerinnen und Schüler, zwei Auftritte und eine Bühne: Die Ballettschule des Hamburg Ballett John Neumeier trat bereits zum 14. Mal mit einem breitgefächerten Programm im Hospital zum Heiligen Geist in Hamburg-Poppenbüttel auf. Marlena Patyna, Praktikantin der Ballettschule, blickt für uns hinter die Kulissen und gibt Einblicke in die letzten Vorbereitungen des Gastspiels:
Die Ausbildungsklasse I zeigt eine »Polka« © Silvano Ballone
Als ich »Wigman« (einer der Ballettsäle im Ballettzentrum Hamburg) betrete, empfängt mich schon die besondere Atmosphäre von Ballett und ich weiß, gleich geht es los! Ich schließe kurz die Augen, atme einmal durch und nehme alles in mich auf. »Heut liegt was in der Luft«, denn »das hier« bekommt man nicht oft zu sehen. »Das ist kein Alltag« – nein heute ist ein besonderer Tag! Ich durchquere den Saal, umrunde einige Spitzenschuhe und ihre Trägerinnen und gehe auf die Stange vorne im Saal zu. Dort hänge ich den Programmzettel auf, damit niemand seinen Einsatz verpasst. Auf dem Zettel steht als Überschrift »Poppenbüttel 2016«. »Poppenbüttel« ist die liebevolle Abkürzung für den Auftritt der Ballettschule des Hamburg Ballett im Hospital zum Heiligen Geist in Poppenbüttel. Heute findet von 17:30 bis 19:30 Uhr die »große« Probe mit ca. 120 Ballettschülerinnen und -schülern statt. Sie alle wirken an den zwei Aufführungen am Samstag, dem 12. November, mit. Die Anzahl der beteiligten Schüler/-innen ist sehr groß, vor allem, wenn man sich vor Augen führt, welche Vorbereitungen mit so vielen Kindern und Jugendlichen aus den Ausbildungs- und Theaterklassen im Vorhinein getroffen werden müssen. Ich setze mich auf einen Stuhl vor den Spiegel, der heute mit Gardinen verhängt ist, damit sich die Ballettschüler/-innen nicht sehen können, genau wie beim Auftritt. Nach und nach füllt sich der Ballettsaal mit den einzelnen Klassen, die nach ihrem Warming-up mit ihren Ballettpädagoginnen und -pädagogen aus den anderen Ballettsälen im Ballettzentrum kommen. Auf dem grauen Boden sind mit weißem Klebeband die Bühnenmaße aufgeklebt, damit sich die Tänzer/-innen an den Bereich gewöhnen können, den sie Samstag zur Verfügung haben. Alles ist so vorbereitet, wie es beim Auftritt am Samstag sein wird. Die kleinen und großen Tänzer/-innen gehen noch einmal in Gedanken die Schritte durch und dann geht es los.
Die Jungen der Ausbildungsklasse III in »Burschen« © Silvano Ballone
Die Pädagogische Leiterin der Ballettschule Gigi Hyatt eröffnet die Probe mit dem Einüben der Schlussverbeugung; denn auch sie will gut geübt sein. 20 Minuten später beginnen die Mädchen und Jungen der ersten Ausbildungsklasse mit einer Polka. Als die Musik verstummt, brandet Applaus auf und die Ballettschüler/-innen verbeugen sich unter Anleitung ihrer Ballettpädagogin. Nach ihrem Auftritt ist für die jüngsten Ballettschüler/-innen Feierabend und für alle anderen geht es nach einer kurzen Erklärung über den weiteren Ablauf mit der zweiten Ausbildungsklasse und dem Tanz Rondeau und Bourée weiter. Die Mädchen laufen auf die abgeklebte Bühne, beachten dabei aber nicht, dass das Klebeband Wände darstellt. Beim zweiten Versuch klappt es und man sieht als Zuschauer genau, wo sich in Poppenbüttel der Eingang zur Bühne befinden wird. Ab der dritten Klasse tanzen die Mädchen und Jungen heute Abend getrennt. Zuerst zeigen die Mädchen eine Polka poétique und danach folgen die Jungen mit dem Tanz Burschen zu der Schabernack-Polka Op. 98 von Josef Strauss. Die Ausstrahlung und die Bewegungen der sechs Jungen haben etwas Schelmisches, sodass auf den Gesichtern in »Wigman« ein breites Grinsen entsteht.
Angelina Jung, Moritz Schulz und Liv Kukla tanzen einen Pas de Trois aus Der Nussknacker © Silvano Ballone
Die Mädchen der vierten Ausbildungsklasse präsentieren eine Étude mit Klavierbegleitung, die das Gratulations-Menuett von Ludwig van Beethoven spielt. Die Klassen IV, V und VI der Jungen zeigen elegante Sprünge und Drehungen zu den Horn-Klängen in der Mozart-Etüde. Es erscheint ein einzelner Tänzer auf der Bühne und alle Augen im Ballettsaal ruhen auf ihm. Als die Jungen den Tanz beendet haben, führt Gigi Hyatt noch einige Korrekturen durch, indem sie den einzelnen Schülern Tipps gibt: Hier ein gestrecktes Knie des Standbeins, da ein runder Arm. Es wird genau auf die Details geachtet, die die Zuschauer in der Vorstellung verzaubern. Dann kommt Pizzicato, das von den Mädchen der sechsten Ausbildungsklasse gezeigt wird. Da es zwei Vorstellungen geben wird, proben beide Besetzungen. Als Beobachterin kann ich gut die Unterschiede zwischen den Besetzungen sehen, die mir beide auf ihre Art gut gefallen. Im Anschluss an die Besetzungswechsel kommen zwei Mädchen und ein Junge aus der zweiten bzw. dritten Ausbildungsklasse. Sie zeigen einen Pas de Trois aus Der Nussknacker. Während des Tanzes gibt es Szenenapplaus für einen der Jungen, der eine Reihe Sprünge ausführt. Die älteren Tänzer/-innen bestärken und motivieren die Jüngsten durch Applaus und Pfiffe. In diesem Moment spürt man in dem ganzen Ballettsaal den Stolz und den Zusammenhalt, den alle Schüler/-innen der Ballettschule in sich tragen.
Mädchen der Ausbildungsklasse VI in »Pizzicato« © Silvano Ballone
Als nächstes probt die fünfte Ausbildungsklasse der Mädchen Tempo di Valse aus dem Ballett Schwanensee sowie den Tanz der kleinen Schwäne. Gigi Hyatt übt mit den »kleinen Schwänen« die Beine in der richtigen Position zu halten, auch wenn es schwer ist, da sie sich zu viert während des Tanzes anfassen und sich dicht beieinander bewegen. Dann tanzen die Theaterklässler der siebten Klasse. Drei Mädchen zeigen eine Variation aus Illusionen - wie Schwanensee und führen uns für eine (zu) kurze Zeit in eine andere Welt. Das Solo aus Pavillon D’Armide löst bei den übrigen Tänzerinnen und Tänzern Begeisterung aus und erntet großen Beifall. Danach wechseln die Mädchen der Theaterklasse VII ihre Spitzenschuhe in Charakter-Schuhe, um im Tanz Mazurka ganz andere Bewegungen als vorher im Programm zu zeigen. Anschließend sehen wir einen Tanz, den die Jungen der Theaterklasse VIII aufführen: Den Soldatentanz aus Nijinsky, in dem die Bewegungen dem Rhythmus der starken Musik folgen. Als nächstes tanzen die Mädchen der Theaterklassen VIII den Blumenwalzer aus Der Nussknacker, der uns schon auf die Vorweihnachtszeit einstimmt.
Schüler der Theaterklasse VII in »Mazurka« © Silvano Ballone
Zum Schluss präsentieren die Theaterklassen Ausschnitte aus Yondering. Im Sommer hat die Ballettschule mit fünf Gastschulen aus der ganzen Welt das 20-jährige Jubiläum dieses Balletts gefeiert. Als drei Ballettschüler der achten Klasse beginnen, Jeanie with the Light Brown Hair zu proben, kommen die schönen Erinnerungen der Jubiläums-Woche wieder hoch. Es tanzen zwei der Theaterklässler das Pas de deux Molly! Do You Love Me? und zum Abschluss sehen wir Beautiful Dreamer. Nach den letzten drei Tänzen des Abends freuen wir uns alle sehr auf den Auftritt im Hospital zum Heiligen Geist in Poppenbüttel.
Natalie Taylor und Louis Haslach in »Yondering« © Silvano Ballone
Jetzt – am Ende der Probe – muss ich leider den Ballettsaal verlassen, und ich gehe hinaus in die Kälte – dick eingepackt und mit den Klängen und Bildern des Abends im Gepäck.